Die Schätzung

Das Finanzamt hat nach § 162 I AO zu schätzen, wenn es die Besteuerungsgrundlagen nicht berechnen bzw. ermitteln kann. Die Schätzung nach § 162 I AO soll dabei der Wahrheit möglichst nahe kommen (BFH BStBl 1993 II, 594; 1986 II, 721; 1986 II, 318; BFHE 188, 160= DStR 99, 848). Trotz er ihr innewohnenden Unsicherheiten soll sie den Punkt treffen. Die gewonnen Schätzungserebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (BFH BStBl 1979 II, 149; 86 II, 226; 93 II, 594). Statt einer Vollschätzung ist auch eine Teilschätzung möglich. Gleichwohl sind Sicherheitszuschläge zulässig, da der die Unterlagen nicht aufbewahrende oder keine Beweisvorsorge treffende StPfl. nicht besser stehen soll, als der ordentlich die Unterlagen aufbewahrende StPfl. Damit ergibt sich schon bei dem Adressat des § 162 I AO eine Ambivalenz dieser Norm: Punktlandung contra Zuschätzung als erzieherisches sanktionierendes Element für Nachlässigkeit, Schlamperei, Sorglosigkeit, kurz: Verletzung der Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten. Auch im Steuerstrafrecht ist die Schätzung zulässig – allerdings mit Abschlägen (zumindest in dubio pro reo), da der StPfl nicht für eine Hinterziehung bestraft werden kann, das nicht sicher als hinterzogen feststeht. An den Berater richtet sich § 162 I AO nicht: er ist nicht verpflichtet eine Punktlandung mit seiner Schätzung zu vollziehen. Er kann daher etwa bei Selbstanzeigen zum Schutze des StPfl zwecks Erfüllung des Vollständigkeitsgebots übertrieben hoch schätzen – allerdings auch Punktlandungen etwa bei fehlenden Unterlagen oder Aufteilungsmaßstäben versuchen. Er kann also Schätzungen und Zuschätzungen analog der Finanzverwaltung vornehmen, quasi vorschlagen. Auch grobe Schätzungsfehler der Finanzverwaltung, die aufgrund der Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, führen regelmäßig nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheides (BFH BStBl 1993 II, 259; 90 II, 351; 82 II, 133).

Zuschätzungen dürfen nicht ohne weitere die Höchstsätze der Richtsatzsammlung überschreiten (BFH BtBl1989 II, 620).

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Dr. jur. Jörg Burkhard: streitiges Steuerrecht, Selbstanzeigen, Steuerstrafrecht, Steuerfahndung, Betriebsprüfung, Wirtschaftsstrafrecht, Arbeitgeberstrafrecht, compliance, tax compliance

Aufbewahrung von Einnahmeursprungsaufzeichnungen nicht erforderlich, wenn …

BFH Urteil v. 13.07.1971, VIII R 1/65 BStBl 1971 II, 729: Die Aufbewahrung von Einnahmeursprungsaufzeichnungen ist nicht erforderlich, wenn deren Inhalt unmittelbar nach der Auszählung der Tageskasse in das in Form aneinandergereihter Tageskassenberichte geführte Kassenbuch übertragen wird.

Geldverkehrsrechnung

BFH, Urteil v. 02.03.1982, VIII R 225/80: Die Schätzungsmethode der Geldverkehrsrechnung weist unabhängig von Buchführungsmängeln eine Gewinnverkürzung nach und muss gerade deswegen strengen Anforderungen genügen: überschaubarer Vergleichszeitraum, Ansatz von Anfangs- und Endbeständen, keine Berücksichtigung von Verhältnissen außerhalb des Vergleichszeitraumes, Unterscheidung zwischen Gesamt- und Teilrechnung, Vollständigkeit. Gewerbetreibende Überschussrechner (§ 4 III EStG) brauchen lediglich den Wareneinkauf, die Betriebseinnahmen und den Eigenverbrauch aufzuzeichnen. Fehlt es daran, ist regelmäßig eine Schätzung gerechtfertigt. Die Gewinnschätzung kann sich in diesem Fall an dem Umfang der privaten Vermögensbewegungen und -anlagen ausrichten.

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Schätzungsungenauigkeiten, Schätzungsunschärfen

BFH, Urteil v. 26.04.1983, VIII R 38/82: Soll die sachliche Unrichtigkeit formell ordnungsmäßig aufgezeichneter Betriebseinnahmen durch eine Nachkalkulation nachgewiesen werden, muss bei nur geringfügiger Abweichung der Nachkalkulation vom Buchführungsergebnis in Erwägung gezogen werden, dass die Abweichung auch Schätzungsunschärfen beruhen kann. Liegt die Abweichung noch im Toleranzbereich dieser möglichen Schätzungsunschärfen, kann die Beweiskraft der Buchführung nach § 158 AO dadurch nicht erschüttert werden: es findet dann keine Schätzung statt, da der Nachweis der UNrichtigkeit des Buchführungsergebnisses in diesem Fall der FinVerw nicht geglückt ist.

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Rohgewinn-Schätzung

BFH, Urt. v. 18.10.1983, VIII R 190/08: Das Unterschreiten des untersten Rohgewinnsatzes (Aufschlagsatzes) der Richtsatzsammlung rechtfertigt bei formell ordnungsgemäßer Buchführung eine Schätzung nur dann, wenn das Finanzamt (der Betriebsprüfer) zusätzlich konkrete Hinweise auf die sachliche Unrichtigkeit des Buchführungsergebnisses geben kann oder der Steuerpflichtige selbst Unredlichkeiten zugesteht.

FG Münster, Beschluss v. 05.12.2002, 8 V 5774/02

Steueransprüche für den jeweiligen Veranlagungszeitraum sind nach den Grundsätzen der Abschnittsbesteuerung zu prüfen. Ob der erklärte Gewinn für einen Veranlagungszeitraum (VZ) nicht durch ordnungsgemäße Buchführung ermittelt worden ist, kann daher nicht einfach unterstellt werden, auch wenn im Vor- und/oder Folgejahr erhebliche Buchführungsmängel aufgetreten sind. Es ist daher nicht zulässig, wenn der Prüfer nur ein oder 2 VZ prüft, Mängel feststellt und dann die übrigen VZ analog zuschätzen will. Solange für diese VZ die Vermutung der Richtigkeit der Buchführung nach § 158 AO nicht widerlegt ist, kann nicht einfach für diese VZ ebenfalls geschätzt werden.

Chi²-Test und Zeitreihenvergleich

FG Münster: der Chi²-Test ist allein kein Nachweis für eine Hinterziehung und rechtfertigt isoliert keine Zuschätzung. Es muss zu den Auffälligkeiten aus dem Chi²-Test noch eine Vermögenszuwachs- oder Geldverkehrsrechnung hinzukommen, die den Umfang der Verkürzung/Zuschätzung darlegt/rechtfertigt. Aus Auffälligkeit des Chi²-Tests allein folgt steuerlich noch nichts (FG Münster Beschluss v 14.08.2003, 8 V 2651/03 EU).

Bei einer Eisdiele mit offener Ladenkasse wurde ein Chi²-Test zur Überprüfung der erklärten Zahlen eingesetzt. Der Zeitreihenvergleich mit 10 Kalenderwochen wurde als Schätzungsmethode bestätigt. Die Einwendungen zum saisonal unterschiedlichen Warensortiment wurde vom FG anerkannt, zumal das FA nicht widersprochen hatte. Allerdings ist das FA bei der Schätzungsmethode frei und der Zeitreihenvergleich eine geeignete Methode zur Schätzung, so das FG Münster, Beschluss v. 19.08.04, 8 V 3055/04.

Der Verdacht unvollständiger, ggf. manipulierter Aufzeichnungen aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Kassenbuchführung kann durch einen sog Chi-Quadrat-Test erhärtet werden. Das Maß der Zuschätzung kann durch einen Zeitreihenverglich ermittelt werden (FG Münster, Beschluss v 10.11.03, 6 V 4562/03).

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